Kolportage

An verschiedenen, ausschließlich dem Kunstbetrieb zugehörigen Orten werden Sandsteine kleineren Formats in dessen Oberfläche Textzeilen oder Schriftzeichen eingehauen sind, in der Nähe der Eingänge abgelegt.

Die Schriftzeichen, die sich in den Sandstein eingraviert finden, entziehen sich einer klaren kulturellen Zuordnung, da ihre Herkunft im Dunkeln bleibt. Dennoch offenbart ihr Duktus eine frappierende Ähnlichkeit mit arabischen, türkischen oder anderen Schriftformen, was den Betrachter unwillkürlich Assoziationen herstellen lässt. Diese Assoziationen, bewusst oder unbewusst, verweisen auf die Mechanismen von Schrift und Sprache als Träger von Bedeutung und Kommunikation. Doch gerade hier liegt die Täuschung: Eine eingehendere Untersuchung entlarvt die Zeichen als sinnentleert – sie sind reine Ornamentik. Die Schrift, die eigentlich als Mittel der Übermittlung gedacht ist, wird in ihrer Funktion dekonstruiert. Indem sie jede semantische Information verweigert, verkehrt sie sich ins Bildhafte, zur bloßen Form.

Diese ornamentale Schrift birgt keinen expliziten Inhalt, keine Botschaft, die transportiert werden könnte. Sie entfaltet vielmehr ein Spiel mit Erwartungen und stellt Fragen, die sich nicht beantworten lassen. Der Passant bleibt in einem Zustand des Unwissens, gefangen zwischen der Erwartung einer verborgenen Bedeutung und der Leere, die ihm tatsächlich entgegenschlägt.

Die Abwesenheit einer feststellbaren Aussage selbst wird zur Aussage: Es ist das Fehlen, das irritiert und Fragen aufwirft, Fragen, die uns auch im Alltag begegnen, wenn wir mit dem Unbestimmten und Uneindeutigen konfrontiert sind. Indem die Schriftzeichen in Stein gehauen und somit materiell aufgewertet werden, verleihen sie sich eine Aura der Beständigkeit und Ernsthaftigkeit, die im Widerspruch zur inhaltlichen Leere steht. Die Arbeit spielt somit bewusst mit der Spannung zwischen äußerer Form und inhaltlicher Abwesenheit, indem sie eine Art nebulöses Gerücht verbreitet, das keinen klaren Urheber kennt. Diese Unsicherheit, die den Betrachter in die Irre führt, ist Teil des inszenierten Spiels der Kolportage.

Die Arbeit thematisiert subtil die Vorurteile, die an die ästhetische Erscheinung fremder Schriften geknüpft sind, und verweist auf politische und religiöse Ressentiments, die tief in alltäglichen Wahrnehmungen verankert sind. Diese Ressentiments wirken unterschwellig und treten immer wieder an die Oberfläche, oft ohne bewusst erkannt zu werden. Gleichzeitig verkörpert die Arbeit einen stillen Appell an den Traum eines friedlichen Miteinanders, den Wunsch, dass diese vorgefassten Urteile und Projektionen überwunden werden mögen – ein Wunsch, der immer wieder von den Geistern des Unbekannten und Fremden durchkreuzt wird.

Mitgliederausstellung des Württembergischen Kunstvereins

Kunst und Gesellschaft

13. August - 11. September 2011 im

Württembergischen Kunstverein

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Staatsgalerie Stuttgart